Viertel-Facts

„Macht mal Platz da“, raunt der Bauwich und macht es sich zwischen zwei Mietshäusern bequem. Die Johannesstraße hört kaum zu, sie denkt an damals, als sie noch die prächtigste weit und breit war. Unbeeindruckt macht der Schwabtunnel den Weg nach Süden frei, er hat selbst schon viele Rekorde geknackt. Der Klett-Verlag am Feuersee ist sowieso immer für eine gute Geschichte gut. Von der Silberburg über das Alte Stellwerk zum Gänsepeterbrunnen: Der Westen wimmelt vor Anekdoten.

Prachtstück: Johannesstraße.

Johannesstraße mit Blick auf Johanneskirche, © Stuttgart-Marketing GmbH, Sarah Schmid
Einen „Schwäbischen Boulevard nach Pariser Vorbild“ wünschte sich König Wilhelm I. um 1830. Gewünscht, gebaut: Die Johannesstraße wurde als erste Prachtstraße in Stuttgart angelegt. In 1068 Metern führte sie geradewegs auf den Feuersee hin. Die dort 1876 eingeweihte Johanneskirche wurde zur Namensgeberin und bildete den Abschluss im unteren Bereich. Am entgegengesetzten Straßenende stand das Bankgebäude der Landwirtschaftlichen Zentralgenossenschaft – heute als Arbeitsgericht bekannt. Wegen des Bezugs zur Landwirtschaft wurde das Gebäude auch „Bauernschlössle“ genannt. Auf den Charakter des Boulevards erinnern heute noch Details wie der Baumbestand der alten Allee und einige prächtige Gründerbauten. Auch die Straßenaufteilung hat es in sich: eine Fahrbahn für die Kutschen, drei Meter für die Reiter, zwei Meter zum Flanieren. So verlief der alte Reitweg dort, wo heute die Parkplätze den Raum einnehmen; er ist teilweise sogar noch mit dem ursprünglichen Kopfsteinpflaster ausgelegt.

Unikum: Bauwich.

Bauwich Tor, © Stuttgart-Marketing GmbH, Sarah Schmid
Gründerzeitbauten gehören zum Stuttgarter Westen wie die Johanneskirche zum Feuersee. Die prächtigen Häuser halten meist einen ganz bestimmten Abstand zu den Nachbargebäuden ein. Schon bemerkt? Diese Häuserschlucht besitzt sogar einen Namen: Der „Bauwich“ diente einst dem Brandschutz. Während in anderen Städten häufig eine doppelte Wand zwischen direkt angrenzenden Gebäuden gebaut wurde, befahl der König in Stuttgart einen zehn Württembergische Fuß, also 2,9 Meter breiten Sicherheitsabstand zwischen den Gebäuden. Ein über zwei Meter breiter Streifen gehörte jeweils zum einen Gebäude, um den Seiteneingang erreichen zu können. Durch einen Zaun getrennt, wurde dem Nachbarhaus der restliche Streifen des Bauwichs zugeschlagen. So konnten beide Hausbesitzer:innen jeweils um ihr Häusle herumlaufen. Heute wird der Bauwich meist als Durchgang zum Hinterhof und zu den Parkplätzen genutzt, viele Trennzäune sind verschwunden. Doch wer genau hinschaut, erkennt anhand zweier unterschiedlicher Bodenbeläge teils bis heute die ehemaligen Grenzen.

Der Hobbit lebt am Feuersee.

Klett-Verlag, © Stuttgart-Marketing GmbH, Sarah Schmid
1969 verließ der „Hobbit“ das Auenland, entdeckte das Schwabenland und zog an den Feuersee. Dabei geholfen hat ihm Verleger Michael Klett, der den Reiz der Romane „Der Hobbit“ und „Der Herr der Ringe“ früh erkannte und sich flugs die Rechte an ihrer deutschen Übersetzung sicherte. Im Namen der „Hobbit Presse“ erscheinen bis heute Schmöker aus dem Bereich Fantastik und Science Fiction. Den Ernst Klett Verlag kennen viele eher aus Kinder- und Jugendtagen: Schließlich ist „Klett“ der größte Schulbuchverlag Deutschlands. 1897 von Ernst Klett gegründet, wuchs das Verlagshaus an seinem Hauptsitz an der Rotebühlstraße stetig weiter. Heute ist er der drittgrößte Verlag der Bundesrepublik und beherbergt unter anderem den Belletristik- und Sachbuchverlag Klett-Cotta und den Wörterbuchverlag PONS. Ein perfekter Ort zum Lesen befindet sich gleich direkt gegenüber des Verlagsgebäudes – am Ufer des schönen Feuersees.

Rekordhalter: Schwabtunnel.

Schwabtunnel westliches Portal, © Stuttgart-Marketing GmbH, Sarah Schmid
Der erste Autotunnel der Welt liegt… wo, wenn nicht in Stuttgart? Damals eine Sensation: Durch den 125 Meter langen Schwabtunnel tuckerte 1900 das erste Automobil. Doch nicht genug der Rekorde. Bei seiner Einweihung war er mit 10,5 Metern der breiteste Tunnel Europas. Dank der Linie 6, die von 1902 bis 1972 durch ihn führte, glänzte er außerdem als einer der ersten Straßenbahntunnel der Welt. So war er wiederum auch der weltweit erste Tunnel mit Mischverkehr, den Straßenbahn, Pferdefuhrwerke, Autos, Fahrräder und Fußgänger:innen gleichzeitig passieren konnten. 1896 war der Schwabtunnel durch den Hasenberg gebaut worden, um die „Karlsvorstadt“ Heslach, in der vorwiegend Arbeiter:innen wohnten, mit den Fabriken im Westen zu verbinden. Links und rechts der klassizistischen Portale aus Buntsandstein führen Staffeln den Hasenberg hinauf. Wer sie erklimmt, kommt an den mächtigen Löwenköpfen vorbei, die jeweils den Scheitel der Eingänge markieren. Über ihren Bögen erscheinen Bildhauerarbeiten. Auf der Heslacher Seite prangt die Figurengruppe „Stuttgart“, am westlichen Portal befindet sich ein Balkon, an dessen Front das Stuttgarter Wappentier – ein springendes Pferd – gezeigt wird.

Im Gänsemarsch.

Reinsburgstraße und Gänsepeterbrunnen, © Stuttgart-Marketing GmbH, Sarah Schmid
Die Reinsburgstraße und die im spitzen Winkel abzweigende Hasenbergsteige bilden den hübschen, dreieckigen Johann-Sebastian-Bach-Platz, dessen Ränder ausnahmslos Gründerzeitbauten schmücken. Nicht nur die Internationale Bachakademie ist am Platz ansässig, auch der 1901 von Lauschner und Bausch errichtete Gänsepeterbrunnen steht hier. Früher war die Kreuzung ein Sammelplatz für Zugpferde. Am Vorgängerbrunnen wurden diese vor dem mühsamen Aufstieg in Richtung Schwarzwald getränkt. Das heutige Brunnenbild erinnert daran, wie vor dem Martinstag einst eine große Zahl Gänse aus den umliegenden Dörfern nach Stuttgart auf den städtischen Markt getrieben wurden. Tipp: Vom Johann-Sebastian-Bach-Platz kannst du unter anderem die Hasenbergsteige mit ihren palaisartigen Wohngebäuden aufwärtswandern und an der Aussichtsplatte den Blick auf die Stadt genießen. Oder es zieht dich „ab in den Süden“.

Bauernhof wird Spielplatz: das Rossbollengässle.

Rossbollagaessle, © Stuttgart-Marketing GmbH, Sarah Schmid
Das Rossbollengässle führt durch einen großen Hinterhof, den zahlreiche, aneinandergereihte Gründerzeitgebäude bilden. Die terrassierte Erholungsfläche mit Spielplatz ist einer Initiative von Anwohnern und Anwohnerinnen zu verdanken; bis 2012 wurde der weite Hinterhof umgestaltet. Kreativ: Die urbane Oase entstand auf dem gefalteten Dach einer Tiefgarage. Für die Kinder sind Spielgeräte, Kletterwand, Tischkicker vorhanden, Erwachsene werden unter anderem mit Liegemulden in der Wiese beglückt. Wer es sich hier bequem gemacht hat, kann sehen, wie sich die schmucken Fassaden zur Straße hin von den einfachen, rückseitigen Fassaden unterscheiden. Ähnliche Innenhöfe verbergen sich hinter vielen Häuserblocks der Stadt. Was ist am Rossbollengässle aber so besonders? Der Name rührt vom letzten innerstädtischen Bauernhof, der sich bis zum 2. Weltkrieg auf der freien Fläche befand. Als Erinnerung an die Pferde, die hier früher neben Schweinen und Hühnern zu finden waren, wurde daher auch ein liegendes Pferd zum Spielen aufgestellt.