Diese Runde geht auf das Europaviertel: Fassaden für alle! Das jüngste Stuttgarter Viertel fällt vor allem durch seine modernen Bauten auf. Die Stadtbibliothek entblättert sich Schicht um Schicht, während sich hinter den Glasfronten der LBBW die Kunst verbirgt und das „Z-UP“ einfach den Hang hinaufkurvt. Auch die historischen Gebäude machen was her: Im „Postdörfle“ schlägt das „Alte Waschhaus“ den Bogen zur Vergangenheit, während die „Alte Bahndirektion“ sowohl ober- als auch unterirdisch überrascht.
Die 1001 Schichten der Stadtbibliothek.
She’s got the look… and the book! Auf die Stadtbibliothek am Mailänder Platz sind die Stuttgarter:innen mächtig stolz. Auf 20.000 Quadratmetern ist dem südkoreanischen Architekt Eun Young Yi ein Meisterwerk gelungen. Beton und Glasbausteine dominieren die Hülle des 40 Meter hohen Würfels. Nachts entpuppt sich der beleuchtete Kubus als blaues Wunder. Betreten kannst du die Bibliothek von allen vier Himmelsrichtungen aus. Nach innen hin entschält sich das Gebäude wie eine Zwiebel. Wie beim Lesen tun sich immer wieder neue Welten auf. Im „Herzen“ überrascht ein 14 Meter hoher, leerer Raum, der durch ein zentrales Oberlicht erhellt wird. Im Galerie- und Lesesaal darüber entfaltet sich eine Welt des Wissens: Wie fließende Flanierwege drehen sich die Freitreppen über vier Etagen hinweg dem Licht entgegen. Die „Galerien“ mit ihren Bücherregalen weichen dabei Geschoss für Geschoss zur Seite zurück, so dass sich das Gebäude zum Glasdach terrassenförmig zu weiten scheint. Bei diesem Raumtyp berief sich der Architekt unter anderem auf einen Entwurf für die französische Nationalbibliothek aus dem 18. Jahrhundert. Überall scheinen die hellen Böden, Wände und Decken eins zu sein. Als bunte Farbtupfer dienen die unzähligen Buchrücken, die die Wände zieren. Zum Abschluss verzaubert auch noch die Dachterrasse, nämlich mit einem 360°-Stuttgart-Panorama.
„Z-UP“: Ein Gebäude kriegt die Kurve.
Für das „Z-UP“ an der Heilbronner Straße direkt gegenüber vom Europaviertel wurde 2008 der Grundstein gelegt. Z-UP? Was heißt hier Z-UP? Das „Z“ steht für die Form des Grundrisses, der einem liegenden Z gleicht. Das „UP“ verweist auf die Hanglage über der Stadt – mit perfektem City-Blick. Soviel zum Namen. Nun zum Gebäude selbst: Das besticht durch breite, weiße Fensterrahmen mit runden Ecken auf schwarzem Grund. Mit seiner fließenden Form schmiegt sich das Büro- und Wohngebäude scheinbar problemlos an den steilen Hang. Dabei überwindet es teilweise einen Höhensprung von zehn Metern. Auch unterirdisch geht’s beim Bauwerk ungewöhnlich zu. Weil direkt unter dem Gebäude eine der Tunnelröhren zum neuen Tiefbahnhof verlaufen soll, musste das Haus unten „Platz“ machen. Das „Z-UP“ steht daher auf Stelzen!
Das „Postdörfle“: Waschhaus mit Wow-Effekt.
Auf der Heilbronner Straße sticht – wow! – ein stolzes Backsteingebäude hervor. Heute hat sich darin das schicke „Arcotel Camino“ niedergelassen. Einst gehörte das mächtige Ensemble zur ersten Arbeitersiedlung der Stadt: Das „Postdörfle“ wurde von 1869 bis 1871 für die Post- und Bahnangestellten gebaut und auf sieben Terrassen eines ehemaligen Weinbergs errichtet. Die Mitte der Anlage bildete die Straße „Im Kaisemer“, von der aus 37 Wohngebäude links und rechts den Hang hinauf erschlossen wurden. Rund 1.000 Einwohner:innen waren hier in 214 Wohnungen zuhause. Für Arbeiterunterkünfte waren die Fassaden im Renaissancestil reich verziert. Gemeinschaftseinrichtungen wie eine Kantine, eine Kinderkrippe sowie eine Bade- und Waschanstalt waren ebenfalls vorhanden. Den Krieg überstanden nur die zwei Gebäude direkt an der Heilbronner Straße. Das „Arcotel Camino“ befindet sich in der ehemaligen Bade- und Speiseanstalt und in dem Waschhaus der Anlage. Die denkmalgeschützten Fassaden wurden 2007 in den Hotelkomplex integriert, wobei die Struktur des „Postdörfles“ bei der Neubebauung beibehalten werden konnte. Zwischen den Gebäuden prangt nun die moderne Lobby des Hotels. Ein Blick ins Innere lohnt sich: Die Treppe im Foyer ist der Freitreppe des „Postdörfles“ nachempfunden.
Die „Alte Bahndirektion“: unten ohne.
Die „Alte Bahndirektion“ hat den Hauptbahnhof fest im Blick. „H7“ nennen die Städteplaner:innen das riesige Gebäude aufgrund seiner Lage an der Heilbronner Straße 7. Hundert Jahre trägt der Gigant bereits auf dem Buckel und hat schon mächtig viel erlebt. Nachdem das Gebäude 1911 und 1912 nach den Plänen von Martin Mayer für die Generaldirektion der Eisenbahn erschaffen wurde, war es Verwaltungsstätte, dann Interimsrathaus und später sogar Heimstätte des Clubs „Rocker 33“ mit dem dazugehörigen Partyvolk. Um sowohl die U-Bahn als auch die Fernzüge unter der Bahndirektion durchfahren zu lassen, wurde das Gebäude für vier Jahre auf 36 Stelzen gestellt. Seit 2020 ruht das Haus mit seinen stattlichen 15.000 Tonnen auf den Fernbahntunneln. Doch der Koloss fällt nicht nur als Schwergewicht auf, sondern auch durch seine stadtbildprägende Fassade. Riesige ionische Säulen, Engelsfiguren, eine Weltenkugel und viele weitere Details aus dem Neobarock und Neoklassizismus lassen sich am Gebäude entdecken.