Geschäftige Betonriesen schäkern mit barocken Residenzschönheiten. Grand Hotel liebäugelt mit schwäbischer Akropolis. Mini-Musikpavillon flirtet mit künstlerischem Glaswürfel. Im Architekturcheck blicken wir hinter und vor die Fassaden von Königstraße und Schlossplatz.
Schwäbische „Akropolis“: der Königsbau.
Lange fehlte dem Neuen Schloss ein würdiges Gegenüber. Das wollte König Wilhelm I. ändern. 1861 ließ er nach Pariser Vorbild die erste Ladenpassage von Stuttgart errichten. Neben einem Konzert- und einem Ballsaal hatten im Königsbau die Hofhändler ihre Ladengeschäfte, und auch die Wertpapierbörse bekam hier bald ihren ersten Standort. Vom Entwurf des Bauwerkes inklusive seiner 34-Säulen-Kolonnade war der König zunächst enttäuscht – denn er wollte mehr. Mehr Säulen, so die königliche Logik, bedeuteten schließlich mehr Pracht. Mit der Begründung des Baumeisters, die Damen würden mit ihren Reifröcken nicht durch die eng stehenden Säulen hindurchpassen, ließ sich der König umstimmen. So blieb der Säulenabstand bei etwa zwei Metern. Die „Schwäbische Akropolis“ – wie eine Lokalzeitung den Königsbau damals betitelte – wurde 150 Jahre später um die gläsernen Königsbau Passagen erweitert. Diese hätten Wilhelm I. wohl gefallen: Hier haben nicht nur die Herren, sondern auch die Damen reichlich Platz zum Shoppen.
Aus einem Guss: der Musikpavillon.
Acht Ecken und aus einem eisernen Guss: Der Musikpavillon wurde 1871 zwischen dem Neuen Schloss und der Jubiläumssäule aufgestellt. Jahrzehnte lang diente er an dieser Stelle den Promenadenmusikern als Unterstand. Bei Wind und Wetter spielten diese bis 1918 immer sonntags beim Aufzug der Wachparade. Brenzlig wurde es zur NS-Zeit, als das Bauwerk als Metallspende eingeschmolzen werden sollte. Dieses Schicksal blieb dem Pavillon erspart – Stuttgart sei Dank. Als der Schlossplatz 1977 im Zuge der Bundesgartenschau neugestaltet wurde, kam nochmal Bewegung in das Leben des Pavillons. Der eiserne Zwerg wanderte von seinem ursprünglichen Standort auf die Nordseite des Platzes.
Fassaden-Pirouette auf dem Schlossplatz.
Bei einer Pirouette auf dem Schlossplatz tanzt die Stadt für dich Architekturballett. Im Ehrenhof, mit dem Rücken zum Neuen Schloss, geht das Spektakel los: Drehe dich langsam und genüsslich einmal im Uhrzeigersinn. In sieben Jahrhunderten erlebst du Stuttgarts Baugeschichte im Zeitraffer. Ganz links tummeln sich Altes Schloss und Alte Kanzlei. Die beiden Oldies schwelgen noch in den guten, alten Renaissance-Zeiten, auch wenn das Alte Schloss sich einen Kern Mittelalter bewahrt hat. An der Ecke thront das Buchhaus „Wittwer-Thalia“ – Betonbrutalismus und 20. Jahrhundert lassen grüßen. „Sag doch einfach Cube zu mir“, haucht das Kunstmuseum neben ihm und wirft sich als gläserner Vertreter des 21. Jahrhunderts in Pose. Förmlicher reckt der Königsbau gleich nebendran seine klassizistischen Säulen. Typisch 19. Jahrhundert. Rechts in der Ecke grinst der Marquardtbau hinter seiner Historismus- und Gründerzeit-Fassade, hie und da entweichen seinem Bauch ein paar Jauchzer: Die „Komödie im Marquardt“ und die Innenstadtkinos sorgen stets für ein gutgelauntes Haus. Im angepassten Nachkriegslook macht es sich der Königin-Olga-Bau samt Elementen aus der Stuttgarter Schule gemütlich. Neben ihm hockt das Kunstgebäude – ein schicker Mix aus Jugendstil und Historismus, auf dem der goldene Hirsch seine Stuttgart-Liebe in den Himmel röhrt. Zu guter Letzt bitte umdrehen. Nicht zu übersehen: Das Neue Schloss barockt!
Taucht unter: das Kunstmuseum.
„Macht Platz für die Kunst!“, ruft das gläserne Kunstgebäude am Schlossplatz – und taucht unter. Kaum zu glauben, dass der sichtbare Teil des „Kubus“ mit seinen drei Etagen nur ein Fünftel der 5.000 Quadratmeter großen Ausstellungsfläche umfasst. Der Großteil des Hauses wurde nämlich unterirdisch in den komplett sanierten Röhren des Planie-Autotunnels aus den 1960er Jahren untergebracht. In dem Sinne bewahrheitet sich: Die Kunst liegt im Verborgenen! Das Erd- und Untergeschoss beherbergt Höhepunkte der städtischen Kunstsammlung. Berühmt ist diese für Werke des Künstlers Otto Dix sowie zentrale Arbeiten von Adolf Hölzel, Willi Baumeister, Fritz Winter oder Dieter Roth.
Eine „hinlängliche Wohnung“: das Neue Schloss.
„Eine standesgemäße, seiner fürstlichen Dignität convenablen und dem Umfang Dero Hofstaats hinlänglichen Wohnung“, wünschte sich Herzog Carl Eugen im Jahr 1744. Diese „Wohnung“ ist heute besser bekannt als das „Neue Schloss“. Zwischen 1746 und 1807 wurde es als Residenz der württembergischen Herzöge und Könige erbaut. Architektenwechsel, Zerstörung durch Feuer und Krieg sowie der Beinahe-Abriss sorgten für eine bewegte Baugeschichte und einen wilden Stilmix. Hinter der Fassade der Seitenflügel befinden sich heute die Büros der Ministerien. Der Marmorsaal und der Weiße Saal dienen als schmucker Rahmen für Festveranstaltungen. Ein Blick in die Höhe überrascht: Das Neue Schloss wird von 59 Dachfiguren gekrönt. Die Gesellen auf dem Hauptflügel stellen die Tugenden des Fürsten dar. Die Figuren an der Planie symbolisieren das Militär, die Künste und die Landesregierung, während auf dem Dach des Gartenflügels die Tugenden des Volkes, die Landwirtschaft und das Handwerk verewigt wurden.
Fassadenballett am Schillerplatz.
Am Schillerplatz soll der Ursprung Stuttgarts, der „Stutengarten“, gelegen haben. Spürst du’s? An Wochen- und Blumenmarkttagen ist es hier am schönsten, wenn die erste Schillerstatue Deutschlands gedankenverloren auf das Treiben blickt. Dreh dich im Kreis und lass die Traumkulisse auf dich wirken! Im Südwesten winkt die Stiftskirche mit ihren zwei ungleichen Türmen. Ihr Inneres begeistert mit einer Reihe von elf Grafenstandbildern im Chor. Nebendran posiert eines der ältesten Gebäude der Altstadt. Im Mittelalter als Kelter, später als Kornspeicher genutzt, beherbergt der Fruchtkasten nun die Sammlung historischer Musikinstrumente des Landesmuseums. Sein spätgotischer Steinbau erhielt im 16. Jahrhundert ein Renaissance-Make-Up. Seitdem streckt er seinen Giebel, auf der ein kleiner Bacchus auf einem Weinfass sitzt, spitz in die Luft. Der Prinzenbau diente einst als Wohnsitz für die zweitgeborenen Prinzen. An seiner Ecke blickt der Kanzleibogen bereits auf 700 Jahre Tradition zurück: Im Mittelalter stand hier eines der Stadttore, das Tunzhofer Tor. Der barocke Durchlass wurde im 18. Jahrhundert gestaltet und dient den Einheimischen heute als Abkürzung zur Königstraße. In der stattlichen Alten Kanzlei saßen einst die Buchhalter des Herzogs; heute genießen die Gäste im und am Renaissancebau Aperol und Kaffee. Last but not least: das Alte Schloss, Heimat des Landesmuseums Württemberg. Von der mittelalterlichen Wasserburg, die bis ins 16. Jahrhundert zur Herzogs- und Königsresidenz ausgebaut wurde, kündet noch das trutzige Äußere. Der Innenhof überrascht allerdings mit seinen Renaissancearkaden.