Viertel-Facts

Seltsam. Hast du‘s bemerkt? Über deinem Kopf schweben Monde. Unter deinen Füßen liegen ein verlassenes Bunkerhotel und eine alte Mineralwasserquelle. Vor deiner Nase hält eine Schutzpatronin ihre Stadt im Arm, während Straßenschilder Familiengeschichte schreiben. Währenddessen dreht ein diskreter, alter Paternoster unermüdlich seine Runden.

Mineralbad im Breuninger, © Breuninger, Stuttgart
Sprudelige Überraschung am Marktplatz.

Als Bauarbeiter 1971 am Marktplatz auf eine Mineralwasserquelle stießen, richtete das „Kaufhaus Breuninger“ in seinem Dachgeschoss kurzerhand ein Schwimmbad ein. Dazu gehörten auch eine Sauna, ein Fitnessbereich und eine Sonnenterrasse. Bis 1988 war das „Mineralbad Breuninger“ in Betrieb. Mittlerweile befindet sich an seiner Stelle die Kantine der Kaufhaus-Mitarbeiter:innen. Heute speist die Mineralwasserquelle noch den historischen Marktbrunnen, der 1975 vom Wilhelmsplatz zurück an den Marktplatz versetzt wurde. An seinem Beckenrand zeigt der über 300 Jahre alte Brunnen 16 gusseiserne Eisenplatten mit Wappen, Kriegs- und Jagdszenen. Auf der markanten Säule von 1804 ist das Stuttgarter Wappentier zu sehen – eine goldene Stute, die sich später zum bekannten aufsteigenden Rössle entwickelte.

Stuttgardia, © Stuttgart-Marketing GmbH, Sarah Schmid
Stolzes Mauerblümchen: die „Stuttgardia“.

In der Hirschstraße, an der Seitenfassade des Rathauses wacht die Stuttgardia über ihre Stadt. Für die 2,41 Meter große Bronzefigur stand die siebzehnjährige jüdische Arzttochter Else Weill Modell. Die Stuttgarterin musste später vor den Nationalsozialist:innen in die USA flüchten. Heute liegt sie in ihrer alten Heimat auf dem Stuttgarter Pragfriedhof begraben. Die Statue krönte einst das Hauptportal des alten Rathauses. Die Stuttgardia verkörperte das selbstständige Bürgertum. Sie hält ein Eichenlaub und eine Miniatur des 1905 eingeweihten spätgotischen Rathauses in den Händen. Nachdem sie die Kriegszerstörungen überstand, wurde sie allerdings 1968 nur an die Seitenfassade des neuen Rathauses angebracht.

Rathaus, © Stuttgart-Marketing GmbH, Sarah Schmid
Von Monden und Glocken: der Rathausturm.

An allen vier Seiten ist der Rathausturm mit Uhren bestückt. Zur Marktplatzseite hin ziert ihn zusätzlich eine Mondphasenuhr. Eine solche finden aufmerksame Augen auch auf der Rückseite, zum Altbau hin. Hier ist zudem ein drittes Ziffernblatt zu sehen: eine Wochenphasenuhr. Sie zeigt die sieben Wochentage durch Symbole aus dem Mittelalter an. Auf die Minute genau klingen fünfmal am Tag die 30 Glocken, die nach Größe geordnet unter der Turmuhr hängen. Das Glockenspiel gab es bereits ab 1925 im Alten Rathaus, auch wenn die Originale im Zweiten Weltkrieg für Rüstungszwecke eingeschmolzen wurden. Täglich um 11:05 Uhr, 12:05 Uhr, 14:35 Uhr, 18:35 Uhr und 21:35 Uhr spielen die Glockenspieler:innen eine Auswahl von Liedern. Je nach Jahreszeit und Anlass variieren diese von „Der Mai ist gekommen“ über „Süßer die Glocken nie klingen“ bis zu einer feierlichen „Ode an die Freude“.

Paternoster 2023 004 qd, © Stuttgart-Marketing GmbH, Sarah Schmid
Drehwurm im Rathaus: der Paternoster.

Paternoster sind selten geworden in Deutschland. Umso mehr lieben die Stuttgarter:innen ihren Umlaufumzug im Rathausfoyer. Unaufhörlich dreht er weiter seine Runden, und das in einem ziemlich gemütlichen Tempo. Maximal 0,3 Meter pro Sekunde dürfen Paternoster fahren. Ende des 19. Jahrhunderts galt der Kabinenaufzug als Revolution in der Beförderungstechnik, weil er viele Personen in kurzer Zeit transportieren konnte.

Unterirdisch: das Bunkerhotel.

Wer über den Stuttgarter Marktplatz schlendert, ahnt nichts von der Welt, die sich in etwa fünf Meter Tiefe befindet. Hier liegt nicht nur ein Schutzbunker aus Zeiten des 2. Weltkrieges, sondern auch ein kurioses Bunkerhotel im Dornröschenschlaf. Ausgelegt war der 50 x 37 Meter große und 2,65 Meter hohe Luftschutzraum unter dem Marktplatz für 1.080 Menschen. Oft drängten bei einem Angriff allerdings bis zu 3.000 Personen in den Untergrund. Von 1945 bis 1985 fand der Bunker eine neue Bestimmung: Das „Hotel am Rathaus“, später „Hotel am Marktplatz“, zählte mit seinen 80 günstigen Einzel- und zehn Doppelzimmern zu den größten Hotels der Stadt. Außer den Fenstern fehlte es im Bunkerhotel an nichts, was ein oberirdisches Hotel an Ausstattung zu bieten hatte. In dieser Unterwelt schliefen Gäste aus aller Welt. Heute öffnen sich die meterdicken Türen nur noch selten: Zur „Langen Nacht der Museen“ erhalten Besucher:innen faszinierende Einblicke in fensterlose Gästezimmer mit Blümchentapeten und Lampenschirmen.